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Brücken-Abstandsmessung fehlerbehaftet - Problematik in der Praxis |
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Auf deutschen Autobahnen wird immer öfter der Abstand kontrolliert. Doch das
verbreitete Video-Brücken-Abstandsmeßverfahren ist in die Kritik geraten. Gutachter
zweifeln das Prinzip der Messungen an und stellen vermeintliche Delikte in Frage.
Unzureichender Sicherheitsabstand darf nur dann moniert werden, wenn dies über eine
Strecke von etwa 150 bis 300 Meter belegt werden kann. Dabei berufen sich die
Bußgeldbehörden auf das Auge des Gesetzes am Tatort. Dort spielt sich die
Kontrollmethode in der Regel so ab: Polizeibeamte beobachten auf dem Videomonitor
mögliche Abstandssünder bereits weit vor der eigentlichen Meßstelle. Ihr Ziel: die
Frontkamera für die Fahrer-Identifikation auszulösen.
Der Freiburger Sachverständige Ulrich Löhle, gefürchteter Kritiker vieler
polizeilicher Kontrollmeßverfahren, weist nach, daß das
Video-Brücken-Abstandsmeßverfahren erhebliche technische Unzulänglichkeiten zu Lasten
der beschuldigten Autofahrer enthält. So funktioniert das vor etwa zehn Jahren von der
bayerischen Polizei entwickelte Verfahren: Auf Autobahnbrücken werden zwei Videokameras
installiert, die sowohl den Fernbereich (ab 150 Meter) als auch den Kontroll-Nahbereich
(unter 150 Meter) aufzeichnen (siehe Kasten rechts). Zusätzlich sollen Aufnahmen einer
Frontkamera im Seitenstreifen helfen, den Verkehrssünder später zu identifizieren.
"Die Problematik dieses Abstandsmeßverfahrens liegt darin, daß die im 50
Meter-Nahbereich festgestellten Geschwindigkeits- und Abstandswerte nicht ohne weiteres
auf eine Strecke bis zu 300 Metern übertragen werden können", sagt
Sachverständiger Löhle.
Der Grund: Ähnlich wie ein Fernsehgerät baut auch ein Videomonitor sein Bild
zeilenweise auf. "Die systembedingten Grenzen markiert der Zeilenabstand der
Video-Halbbilder, sagt Ulrich Löhle. "Im Fernbereich entspricht ein
Zeilenabstand immerhin einer Abweichung von bis zu zehn Metern." Seine Kritik: Das
Auflösungsvermögen des Videobildes werde zu klein und zu ungenau. Der Experte hat zudem
noch eine weitere Erfahrung gemacht: "Es ist völlig unwahrscheinlich, daß zwei
Fahrzeuge über eine Strecke von 200 bis 300 Metern mit absolut konstanten
Geschwindigkeiten und Abständen hintereinander herfahren." Fachleute gehen davon
aus, daß Tempo und Abstand in diesen Fällen um fünf Prozent schwanken. "Auf eine
Distanz von 200 bis 300 Metern können solche Abweichungen nicht erkannt werden, ganz
gleich, wie oft die entsprechende Videoaufnahme ausgewertet wird", sagt Löhle
folgerichtig.
Der Techniker wird von dem Mediziner Helmut Wilhelm bestätigt. "Ab 100 Meter
Entfernung wird es äußerst schwierig, Tempo und Abstand mit bloßem Auge korrekt zu
bestimmen", sagt der Privatdozent an der Tübinger Universitäts-Augenklinik. Je
weiter die beobachteten Autos entfernt seien, desto gravierender fielen die
Fehleinschätzungen aus. "Das menschliche Sehvermögen ist in dieser Hinsicht einfach
unterentwickelt", so erklärt der Augenarzt. Löhle entdeckte auch eine weitere
Schwäche des Video-Brücken-Abstandsmeßverfahrens, die unabhängig vom
Entfernungsbereich auftritt:
Die Uhr der Videokamera zählt keine identischen Zeitschritte von 0,01 Sekunden,
sondern schreitet zuweilen 0,02, manchmal sogar 0,03 Sekunden voran. "Allein dieser
Systemfehler kann dem betroffenen Autofahrer Fahrverbot einbringen", sagt Löhle.
Basierend auf der Definition für Geschwindigkeit (Geschwindigkeit gleich Weg durch Zeit)
läßt sich Abstand sowohl in Metern als auch in Sekunden ausdrücken: Bei Tempo 130
beispielsweise legt das Auto pro Sekunde einen Weg von 36,11 Metern zurück. Für den
halben Tachometerabstand von 65 Metern werden folglich 1,8 Sekunden benötigt. Ist der
Abstand jedoch geringer als fünf, vier, drei oder gar zwei Zehntel des halben
Tachowertes, dann droht der Bußgeld-Katalog mit kräftigen Sanktionen. Beispiele: Bei
einer Geschwindigkeit von 130 km/h entsprechen
- fünf Zehntel = 32,5 Meter (oder 0,9 Sekunden),
- vier Zehntel = 26,0 Meter (oder 0,72 Sekunden),
- drei Zehntel = 19,5 Meter (oder 0,54 Sekunden),
- zwei Zehntel = 13,0 Meter (oder 0,36 Sekunden).
Und Fahrverbot droht, wenn der Abstand geringer als zwei Zehntel des halben Tachowertes
ist. Aufgrund der ungleichmäßig voranschreitenden Zeitzählung der Videokamera kann es
aber zu falschen Ergebnissen kommen: Beträgt der tatsächliche Abstand 0,36 Sekunden, ist
es durch den Systemfehler der Uhr dem Zufall überlassen, ob sie 0,37 oder mit
Fahrverbot bedrohte 0,35 Sekunden anzeigt. Trotz der gravierenden Schwächen kommt
das Video-Brücken-Abstandsmeßverfahren vor allem in Bayern, Nordrhein-Westfalen,
Schleswig-Holstein und im Saarland tausendfach zum Einsatz. Allein auf bayerischen
Autobahnen sind über 30 Meßanlagen Tag für Tag im Dienst.
Pro Jahr werden dort über 65 000 Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Abstandsdelikten
eingeleitet. In Nordrhein-Westfalen dokumentiert das Verfahren jährlich
über 45 000 Abstandsverstöße. Und selbst im kleinen Saarland
werden pro Jahr über 6000 entsprechende Verfahren aktenkundig. "In
den letzten zwei Jahren haben die Abstandskontrollen auf Autobahnen massiv zugenommen",
ist die Erfahrung von Rechtsanwalt Hans-Jürgen Gebhardt aus Homburg an
der Saar. Wie häufig Autofahrer, die widerspruchslos den Bußgeldbescheid
akzeptiert hatten, zu Unrecht ein Fahrverbot bekamen, bleibt freilich im dunkeln.
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